Interview mit Dr. Roberto Frontini – „Jede Technik muss dem Menschen dienen“
Die Weltgesundheitsorganisation hat den 17. September erstmalig zum Internationalen Tag der Patientensicherheit erklärt. Unter dem Motto „Sicherheitskultur auf allen Ebenen“ wurde weltweit an dieses wichtige Thema erinnert. Das nehmen wir zum Anlass, um bei Dr. Roberto Frontini als ausgewiesenem Experten für Patientensicherheit zu erfragen, wie er die Situation in Deutschland beurteilt.
Herr Dr. Frontini, wie schätzen Sie die aktuelle Situation der Patientensicherheit in deutschen Krankenhäusern ein?
„Es hat sich viel getan in den letzten Jahren. Heilberufler und auch Patienten sind durch die zahlreichen Aktivitäten in Sachen Arzneimitteltherapiesicherheit (kurz AMTS) sensibler und aufmerksamer geworden. Leider schlägt sich dieses gewachsene Bewusstsein aber noch nicht in beruhigenden Zahlen nieder.“
Was sind Ihrer Einschätzung nach die größten potentiellen Quellen, die zu Medikationsfehlern führen?
„Ich betrachte den Mangel an schnell verfügbarer Information als Hauptursache. Das betrifft zum einen die spezifischen Informationen über Medikamente, zum anderen auch die klinischen Daten der Patienten, die durch mangelnde Integration der Systeme im Krankenhaus nicht zur Verfügung stehen. Nicht zu unterschätzen ist der „human factor“ - Damit ist nicht nur Arbeitsüberlastung und Müdigkeit gemeint, sondern vielmehr die bestehende Arbeitskultur, die zu oft von starren Hierarchien und Mangel an offenem Dialog geprägt ist.“
Welche Bedeutung hat der technologische Fortschritt für eine positive Entwicklung der Patientensicherheit?
„Stellen Sie sich die Situation vor wie im Cockpit eines Flugzeuges: Ohne Technik, die leicht zu verstehen und zu bedienen ist, ist eine sichere Medikation genau so wenig möglich wie eine sichere Landung. Technik muss dem Menschen dienen und nicht umgekehrt, sonst gerät man schlimmstenfalls in die unglückliche Situation der Boing 737 MAX.“
Welche Vorteile bietet in diesem Kontext die Automatisierung des Medikamentenmanagements durch die Einführung z. B. von Cabinets?
„Cabinets sichern die Ausgabe der richtigen Medikamente, ohne dass die Pflegekräfte ihre Kompetenz bezüglich der Medikation verlieren. Das trifft besonders bei Medikation, die intravenös verabreicht wird, und Betäubungsmitteln zu. Darüber hinaus wird die Pflege dadurch entlastet, dass eine Inventur und die Bestellung des täglichen Bedarfs automatisiert werden können. Das ist besonders bei Betäubungsmitteln eine erhebliche Erleichterung.“
Welche weiteren Schritte sind notwendig, um das Ziel „closed loop medication management“ zu erreichen?
„Closed loop medication“ darf nicht - wie bei einer zentralisierten Unit-Dose- Versorgung - hauptsächlich auf eine orale Medikation beschränkt werden. Die Pflege muss die Kompetenz besonders bei intravenöser Medikation behalten. Bei der Notfallmedikation wäre z. B. eine RFID-Lösung ein erheblicher Gewinn für die Arzneimitteltherapiesicherheit. Wohl wissend, dass RFID für alle Medikamente zu teuer und zu aufwändig wäre, ist es für Notfälle durchaus eine mögliche Option.“